Internet Statement 2008-33
Georgien-Rußland und andere Brennpunkte der internationalen Beziehungen
Walter Grobe, 8.9.2008
1. Einiges aus der Presse
Verschiedene Entwicklungen der letzten Wochen weisen darauf hin, daß den beiden Hauptanstiftern der Provokationen um Georgien - gewissen Kräften im Westen, in den USA und NATO sowie der russischen Führung – die Konsequenzen nicht durchgängig erwünscht sein können, die verschiedene Staaten angesichts dieser Zuspitzung diskutieren oder auch schon ziehen. So wird z.B. berichtet, daß Russland bei seinen engsten militärischen Kooperationspartnern, der sog. ODKB (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) – Armenien, Weißrußland (Belarus), Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgistan – weniger Unterstützung erfährt als eingefordert: “Die ODKB ist das von Russland geführte Militärbündnis in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) – und eigentlich, so berichteten russische Zeitungen in den vergangenen Tagen, wollte Moskau auf dem Außenministertreffen einen Tag vor dem Gipfel der ODKB-Staatschefs an diesem Freitag eine klare Verurteilung Georgiens und eine unzweideutige Unterstützung für sein eigenes Vorgehen im Kaukasus erreichen.“ Zustande kam zwar eine Erklärung, in der von „Sorge über die von der georgischen Seite unternommenen militärischen Handlungen in Südossetien“ die Rede ist. Aber: „Unterstützt wird von den ODKB-Staaten ‚Russlands Rolle bei der Mitwirkung an Frieden und Zusammenarbeit im Kaukasus’ – doch schon bei der ‚Garantie einer dauerhaften Sicherheit für Südossetien und Abchasien’ wird nicht erwähnt, von wem sie ausgehen soll. Dabei hatte die russische Regierung in den Tagen zuvor einiges unternommen, um ihre nominellen Verbündeten Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Weißrussland auf ihre Seite zu ziehen. Dem weißrussischen Präsidenten Aleksandr Lukaschenka, der sich – nach deutlicher Aufforderung dazu – als Einziger aus der Runde bisher lobend zum russischen Vorgehen geäußert hat, wurden laut einem Bericht der Zeitung ‚Kommersant’ eine Senkung des Gaspreises und ein Kredit von zwei Milliarden Dollar angeboten, während Usbekistan offenbar künftig von Russland für sein Gas den von ihm geforderten Preis von 300 Dollar je 1000 Kubikmeter erhalten soll; bisher zahlt Gasprom den Usbeken 130 Dollar. Der armenische Präsident Sersch Sarkisjan wurde am Mittwoch während eines Besuchs bei Präsident Medwedjew offenbar an die starke wirtschaftliche und politische Abhängigkeit seines Landes von Russland erinnert. Dass Armenien, das nun den Vorsitz der ODKB übernehmen soll, der russischen Position nicht folgen will, wurde indes schon gleich nach dem Treffen deutlich: Während Medwedjew die russische Standardformel ‚georgische Aggression' verwendete, sprach Sarkisjan von ‚Ereignissen’." (FAZ 5.9.08 S.7, „Lawrows Umständlichkeit“) Die armenische und die türkische Regierung nutzten den Anlaß eines Fußballspiels um die WM-Qualifikation, um eine gewisse Annäherung öffentlich zu zeigen: „...für Armenien ist Georgien die wichtigste Verbindung zur Außenwelt, weil seine Grenzen mit Aserbaidschan und der Türkei wegen des Konflikts um Nagornyj Karabach geschlossen sind. Russland hat mit der Kontrolle der wichtigsten Straßen und der Sprengung einer Eisenbahnbrücke auch Armeniens Lebensnerv getroffen. Das dürfte Präsident Sarkisjan darin bestätigt haben, dass es richtig war, den türkischen Präsidenten Gül zum WM-Qualifikationsspiel Armenien– Türkei am Samstag in Eriwan einzuladen. Die von Gül am Mittwoch angenommene Einladung bringt Bewegung in diese Beziehungen. Durch eine Stellungnahme gegen Georgien, mit dem die Türkei gute Beziehungen unterhält, wäre diese Initiative zu Ende, noch bevor sie richtig begonnen hat. Und eine Anerkennung Südossetiens und Abchasiens würde in dem eng mit der Türkei verbundenen Aserbaidschan, das seine von Armeniern bewohnte Provinz Nagornyj Karabach zurückhaben will, als feindlicher Akt aufgefasst.“ (ebenda) Man übersehe nicht die Information in diesem Bericht, daß Putin-Gasprom gegenüber Belarus und Usbekistan bei den Energiepreisen jetzt ein gewisses Entgegenkommen signalisieren, um mehr Unterstützung in der Kaukasusfrage zu erhalten. Das ökonomische Ausmaß des Entgegenkommens nimmt sich nicht gerade knapp aus und weist auf die Lasten hin, die der Rohstoffimperialismus der Russen bisher diesen befreundeten Ländern aufgebürdet hat.
In der Ukraine, einem weitaus größeren Land als Georgien selbst, kommt es im Gefolge der Auseinandersetzung, wie die Regierung den Konflikt um Georgien zu bewerten habe, ob und in welchem Umfang Russland oder die USA zu unterstützen seien, zu heftigen Auseinandersetzungen. Der exponierte Pro-USA, Pro-NATO-Scharfmacher Präsident Juschtschenko, der schon in den vergangenen Jahren fast seine gesamte politische Unterstützung in der Bevölkerung eingebüßt hatte, wird von einer Allianz des „Blocks Julia Timoschenko“ und der „Partei der Regionen“ unter Janukowitsch, der traditionellen Repräsentanz derjenigen Bevölkerungs- und Wirtschaftskreise, die mehr mit Russland verbunden sind, aus der Regierung verdrängt und faktisch entmachtet. Zu Timoschenkos politischen Konstanten gehören Zurückhaltung gegenüber einer NATO-Mitgliedschaft und der stärkere Akzent auf Zusammenarbeit mit der EU – auch in militärischer Beziehung, wie es auch kürzlich zu lesen war: „Die russische Intervention in Südossetien wird in Kiew nämlich als ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Ukraine verstanden. Wie das viel kleinere Georgien ist diese nach Russland volkreichste frühere Sowjetrepublik in letzter Zeit deutlichen Pressionen aus Moskau ausgesetzt gewesen, weil der Präsident [Juschtschenko] das Land in die Nato führen will, und wie in Georgien gibt es auch in der Ukraine Gebiete, deren Bevölkerung starke Sympathien für Russland hat und die wie Südossetioen theoretisch zum Brennpunkt künftiger Konflikte werden könnten. Dieser Zeitung gegenüber wies der außenpolitische Chefberater der Regierungschefin Timoschenko, der stellvertretende Ministerpräsident Hrihorij Nemirija, am Mittwoch darauf hin, dass die ‚graue Zone’, das ‚Sicherheitsvakuum’ in der Nachbarschaft Russlands, das sich in Südossetien gezeigt habe, nicht nur den Kaukasus umfasse, sondern auch die Ukraine – ebenjenes Gebiet, das man in Moskau als ‚nahes Ausland’ bezeichne. Nemirija, der gegenwärtig im Auftrag Timoschenkos in Georgien ist, fordert deshalb vor allem die Europäische Union (EU) auf, aus der georgischen Erfahrung schnell die nötigen Schlüsse zu ziehen. Nach seinem Vorschlag kann das Sicherheitsvakuum im ehemals sowjetischen Raum am besten dadurch ausgefüllt werden, dass etwa die Ukraine stärker als bisher in die ‚Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik’ (ESVP) integriert wird. Die Vorkehrungen dafür könnten im ’Neuen Verstärkten Abkommen’ festgelegt werden, das gegenwärtig gerade zwischen Brüssel und Kiew ausgehandelt wird und nach Auskunft europäischer Diplomaten gute Fortschritte macht. Zuletzt, so Nemirijas Vorschlag, könnte die Ukraine sowohl bei der Ausarbeitung als auch bei der Verwirklichung der ESVP beteiligt sein – nur beim konkreten Akt der Beschlussfassung müsste Kiew noch bis zu einer späteren Vollmitgliedschaft warten. Für diese Zusammenarbeit qualifiziere sich die Ukraine einerseits durch ihre umfassende Erfahrung mit internationalen Friedensmissionen, andererseits dadurch, dass sie eines der wenigen postsowjetischen Länder sei, dass seine ethnischen Konflikte immer friedlich beigelegt habe. Nemirjas Vorschläge spiegeln nicht nur die Position Julija Timoschenkos, die immer schon stärker auf Europa gesetzt hat als auf die Nato; sie stehen auch in Verbindung mit Vorstellungen in der EU selbst, etwa der jüngsten polnisch-skandinavischen Initiative für eine intensivierte Ostpolitik der Union. In Tiflis traf sich Nemirija dieser Tage mit dem polnischen Außenminister Sikorski.“ (FAZ 14.8.2008, S. 5)
In einem Artikel der FAZ v. 6.9.2008 „Der Westen forscht nach Ursachen des Krieges in Georgien Nato-Erkenntnisse zu den Kämpfen“, von Nikolas Busse, wird angedeutet, daß auch innerhalb der NATO der Rückhalt für Saakaschwilis Regime nicht ungeteilt ist: „Die Frage, wer den Krieg in Georgien angefangen hat, ist in der politischen Bewertung der vergangenen Tage etwas in den Hintergrund getreten. Der Westen, soweit er in EU und Nato organisiert ist, hat sich vor allem mit der fortwährenden russischen Besetzung von Südossetien, Abchasien und Teilen Kerngeorgiens befasst. Doch das Thema wird wiederkommen: ‚Für die Entwicklung unserer Beziehungen zu beiden Konfliktparteien ist es schon wichtig, wer welchen Anteil gehabt hat’, sagte Außenminister Steinmeier vor Beginn der EU-Außenminister-Konferenz in Avignon. Deshalb ist von Bedeutung, was jetzt der georgische Generalstab im Brüsseler Hauptquartier der Nato vorgetragen hat: Die Befehlshaber der georgischen Streitkräfte haben den Verbündeten berichtet, sie seien dagegen gewesen, militärisch in Südossetien einzugreifen. Der georgische Präsident Saakaschwili stellt seine militärischen Bewegungen zu Beginn des kurzen Krieges als Reaktion auf südossetische Provokationen und einen unmittelbar drohenden russischen Angriff dar. Ein Kern dieser Darstellung lautet, dass Georgien nach Südossetien vorstieß, weil es verlässliche Informationen hatte, dass die Russen durch den Roki-Tunnel kämen. Der Tunnel ist die einzige schnelle Landverbindung zwischen Südossetien und Russland. Danach wäre die georgische Militäraktion als Notwehr zu betrachten. Diplomaten in Brüssel berichten, dass das nicht zu den Berichten des georgischen Generalstabs passe. Die Generale hätten ausgesagt, dass sie Saakaschwili von einem Eingreifen abgeraten hätten. Sie seien der Meinung gewesen, dass sich die georgischen Streitkräfte zwar gegen die südossetische Armee und südossetische Milizen durchsetzen könnten, gegen Russland aber machtlos seien. Auch die Sache mit dem Roki-Tunnel klang hier anders. Der Generalstab berichtete, die georgischen Kräfte hätten eine Sprengung des Tunnels erwogen, darauf aber verzichtet, weil sich bereits südossetische Flüchtlinge in dem Tunnel befunden hätten. Diplomaten bei der Nato sagen, die Aussagen des Generalstabs seien womöglich ein Versuch, sich selbst reinzuwaschen und Saakaschwili die Schuld für den verlorenen Krieg zuzuschieben. Allerdings sei auffällig, dass die georgische Regierung keinen der diplomatischen Schritte unternommen habe, die üblich seien, wenn ein Land angegriffen werde. So habe sie nicht versucht, die Vereinten Nationen oder die OSZE um Hilfe zu bitten. Der Nato legte sie erst nach fünf Tagen ein Hilfeersuchen vor.”
Einer der internationalen Brennpunkte, wo man relativ deutlich sieht, wie den USA der Machteinfluß aus den Händen gleitet, ist der Komplex Pakistan-Afghanistan.
Pakistan befindet sich seit Jahren mehr und mehr in der Zerreißprobe u.a. aufgrund der Tatsache, daß der terroristische Islamismus, der jahrzehntelang dort von den USA im Zusammenwirken mit Elementen des pakistanischen Geheimdienstes und der größten islamistischen Reaktionäre in der Regierung, z.B. dem früheren Militärdiktator Zia ul-Haq, gefördert und organisiert wurde, inzwischen in dieser Region zum Kriegsgegner der USA geworden ist. Die Volksmassen in Pakistan müssen unter äußerst komplizierten Bedingungen kämpfen. Das Land ist aufgrund seiner - auch durch den Islam bedingten – Rückständigkeit und der zunehmenden kapitalistischen Krise besonders schwer getroffen und wird durch immer aggressivere islamistische Umtriebe, die stellenweise schon Bürgerkriegscharakter angenommen haben, erschüttert. Ganze Provinzen stünden inzwischen unter Taliban-Regime, heißt es jüngst, obwohl diese Entwicklung zumindest partiell mit der Armee bekämpft worden sei. Sowohl in Afghanistan wie in Pakistan selbst dürften große Teile der Massen in die Empörung getrieben werden, indem sie unter den Vorzeichen des Kriegs zwischen den USA und deren früheren Verbündeten unter den Islamisten mit ständigem militärischem Terror v.a. der USA zu rechnen haben, die noch immer hartnäckig das Konzept der militärischen Festsetzung im zentralasiatischen Bereich verfolgen und die Völker dafür bluten lassen. Es überrascht kaum, daß Islamisten dies auszunutzen wissen, aber auf der anderen Seite kann es vom Grundsatz her eigentlich kaum anders sein, als daß die demokratischen und säkularen Kräfte im Gesamtstaat durch die Untaten der USA und der Islamisten Auftrieb bekommen.
Soeben wurde der bisherige Präsident Musharraf, der fast zehn Jahre lang versucht hat, den politischen Zusammenhalt des Landes mit einem gewissen Bündnis mit den USA zu vereinbaren, gestürzt. Es ist unklar, welche Politik der Nachfolger von der Pakistanischen Volkspartei PPP, der Witwer der ermordeten Benazir Bhutto, Zardari, verfolgen wird. Ein Konzept ist bisher nicht erkennbar.
Die unhaltbare Situation, mit der sich in Afghanistan die mit Kampftruppen engagierten Länder zunehmend finden, darunter gerade auch die Bundesrepublik, führt ebenfalls nicht unbedingt zur Stärkung der Bindungskraft der USA in diesen Ländern. Selbst Verteidigungsminister Franz-Josef Jung mußte bei seinem gerade beendeten Besuch in Afghanistan und Pakistan öffentliche deutliche Kritik an Militärvorstößen der USA von Afghanistan nach Pakistan hinein üben, und in Kommentaren bürgerlicher Journalisten wird davon gesprochen, daß in Afghanistan nun das Ende der Illusionsmacherei gekommen sei. Wolle man einen militärischen Sieg, der offensichtlich gegen Teile der Bevölkerung erkämpft werden müssen, und welche Mittel habe man dafür? Wenn aber nicht, müsse auch die Alternative des Abzugs ernsthaft zur Debatte gestellt werden:
„Eine ehrliche Debatte über
Ziele und Strategie in Afghanistan zu führen ist das Gegenteil von Durchhalteparolen,
so geschmacklos es auch ist, als Reaktion auf den Tod eigener Soldaten
reflexhaft den Abzug aus Afghanistan zu fordern. Doch muss in einer
Demokratie, in der Parlamentarier über den Einsatz von Streitkräften
entscheiden, auch über das richtige Vorgehen gestritten werden dürfen:
über die Folgen eines Abzugs aus Afghanistan ebenso wie darüber, ob
es wirklich zielführend ist, mit massiven Schlägen und unter Inkaufnahme
vieler Opfer die Taliban besiegen zu wollen. Oder auf die Guerrilla
mit Krieg zu antworten.“
2. Einige Überlegungen zur internationalen Entwicklung
Russische Regierungskreise erklärten kürzlich einmal mehr, es sei nicht mehr akzeptabel, daß die Welt „unipolar“ von den USA ausgerichtet werde. Nun, das wurde sie nie, wenigstens nicht in dem Maße, wie sie das ausmalen.
„’Rußland ist auf die Weltbühne zurückgekehrt als verantwortlicher Staat, der seine Bürger verteidigen kann’, stellte Außenminister Sergej Lawrow am Montag in einer Ansprache vor Studenten der Diplomaten-Akademie in Moskau fest. ‚Amerika muß die Realität einer post-amerikanischen Welt anerkennen und damit beginnen, sich ihr anzupassen.’ Und weiter: ‚Der Versuch (der USA), in ihrer eigenen unipolaren Welt zu leben, hat schon zu lange gedauert, und das ist in jeder Beziehung gefährlich.’ ‚Es scheint, daß die NATO wieder Frontstaaten braucht, um ihre Existenz zu rechtfertigen.’ Die Ost-West-Krise um den Georgien-Konflikt sei ‚ein Moment der Wahrheit’, sagte Lawrow, und ‚die heutige Klarheit ist besser als jede Zweideutigkeit’“. („junge welt“ 3.9.08)
Putin erklärte in einem Interview mit der ARD (29.8.2008, s.a. „junge welt“ 2.9.2008) zu Georgien:
„Wir sind das Opfer der Aggression“
Man kann kaum bezweifeln, daß die Stationierung der USA-Raketenabwehr in Polen und Tschechien eine Verschärfung der militärischen Einkreisung Russlands durch die USA bedeutet und als Vorbereitung imperialistischer Aggression bekämpft werden muß. Von „Wahrheit“ zu sprechen bezüglich Putins Behauptung angesichts des russischen Vorgehens im Georgien-Konflikt ist allerdings kühn. Zu den russischen Hintergründen und Widersprüchen im allgemeinen muß hier kurz angemerkt werden:
Diejenigen Führungsschichten der früheren Sowjetunion, aus denen die heutigen herrschenden Kreise Russlands hervorgegangen sind, nämlich die völlig zu bürokratisch-kapitalistischen, teilweise mafiotischen Cliquen degenerierten Führungskreise der früheren KPdSU waren es gerade, die ihre Politik auf die propagandistische Überhöhung einer angeblich übermachtigen USA abstellten, die mit ihren Atomwaffen die Welt völlig beherrsche – nur Eines könne ein Gegengewicht bilden, nämlich eine Sowjetunion, der sich alle Fortschrittskräfte der Welt unterzuordnen hätten, deren Aufstieg zum Rivalen und Konkurrenten einer solchen USA alternativlos sei. Die große Masse der Länder auf der Welt, bspw. auch das – damals noch - sozialistische China oder Europa, zählten in solchen Schemata vor allem als Manövriermasse.
Weiter: bei ihrer Umwandlung in die Oligarchencliquen des heutigen Russland wurden diese Kräfte von niemandem so unterstützt wie gerade von den USA und dem dort weitgehend zentralisierten internationalen Finanzkapital der Welt; es galt ihnen dabei vor allem, jede oppositionelle nach links führende Regung unter den Massen und in der politischen Diskussion abzublocken.
Schließlich ist noch anzumerken, daß weder der Bevölkerung Russlands noch den Interessen der Völker der Welt damit gedient wäre, wenn erneut ein Anspruch und ein falsches Selbstbewußtsein aufgezäumt würden, als könne Russland mit seinen Bodenschätzen und gewissen Elementen von Militärmacht sich erneut als Großmacht in Szene setzen, Erpressung und militärische Drohung ausüben und die berechtigten Forderungen der eigenen Bevölkerung in die Irre leiten. Das wird nicht funktionieren. Der Druck der Massen auch in Russland ist zweifellos weiter am Wachsen, was indirekt durch die krasse nach innen gerichtete chauvinistische Lügenpropaganda anläßlich des Georgienkonflikts bestätigt wird, die nicht so notwendig wäre, müßte man nicht innenpolitische Probleme in falsche Münze umzusetzen versuchen.
Nebenbei bemerkt, in den USA hat soeben ein - wohl kaum unwichtiger - Streik der Boeing-Arbeiter begonnen, die sich gegen den Verfall ihrer Löhne und die zunehmende Ausrangierung durch die Verlagerung von wesentlichen Teilen der Boeing-Produktion in andere Firmen, vor allem im Ausland, richten. Das sollte als Hinweis gewertet werden, daß im inneren Geschehen der USA auch noch andere Faktoren am Wirken sind als die, über die unsere Medien so gern berichten, andere als bloß das Zittern der Finanzwelt und unerträglich hohle Wahlphrasen. Freilich waren schon längst vor dem Georgien-Konflikt die Widersprüche, die zur inneren sozialen Krise der USA und ihrer zunehmenden internationalen Isolierung beitragen, wirksam und erkennbar.
In der Tat ist die Welt heute weniger denn je unipolar, sondern insgesamt stark in Bewegung. Die kapitalistische Ausbeutung führt nicht nur zu Widerstands- und Emanzipationsbewegungen von Volksmassen in vielen Teilen der Welt, sondern auch zu neuen Machtzentren und deren weltweiter ökonomischer und politischer Konkurrenz. Niemand kann z.B. den Aufstieg Chinas ausklammern, und noch weitere Zentren bilden sich heraus. Nebenbei bemerkt wirkte es auch wie ein Versuch, die Bedeutung Chinas und seine Selbstdarstellung vor der Welt in den Schatten zu stellen, als genau zur Eröffnung der Olympischen Spiele der Hasardeur Saakaschwili seine untauglichen Truppen massiv das Feuer eröffnen ließ.
Das provokante abenteuerliche Auftreten der USA und Russlands, wie es in der Georgien-Affäre vorgeführt wurde, assistiert von ihren jeweiligen Unterstützern, Mit-Treibern und Lakaien in verschiedenen Ländern, wird von der Absicht geleitet, die Völker und Staaten, jeweils auf Kosten von deren eigenen Interessen wie auch der Interessen der konkurrierenden Macht, enger an sich zu binden. Doch derzeit scheint das eher zu entgegengesetzten Wirkungen zu führen. Eine ganze Reihe von Ländern und auch Teile von deren politischen Führungen versuchen sich aus solchen Fallenkonstellationen herauszuwinden. Es ist in der gegenwärtigen Situation kaum anders vorstellbar, als daß die EU – nach wie vor wenig mehr als eine wirtschaftliche und bürokratische Koalition von Nationalstaaten – erneut mehr Zuspruch findet und daß die Tendenzen, sich diesem Bündnis anzuschließen, wachsen. Sogar Serbien, dem noch eben von den USA und auch der EU selbst durch die Abtrennung des Kosovo übel mitgespielt wurde, sucht verstärkt den Anschluß. Die Kräfte in der Ukraine, die in dieser Richtung tendieren, erfahren anscheinend ebenfalls eine Stärkung.
In der EU selbst hat insbesondere angesichts der russischen Energieerpressungspolitik schon seit längerem vor allem die Energiediskussion einige veränderte Akzente erhalten; selbst in Deutschland wird jetzt von Kräften, die lange den Atomausstieg verfochten bzw. als unantastbar hingestellt haben, die Diskussion um diese Frage nicht mehr völlig umgangen, und selbstverständlich kommen auch die militärischen Fragen der EU, z.B. weltinterventionistische Militärabenteuer, seien sie in enger Anlehnung an die USA, seien sie mehr auf eigene Faust unternommen, in gewissem Maße auf den Prüfstand - dabei ist allerdings auch eine Verschärfung der negativen imperialistischen Trends keineswegs ausgeschlossen. Auch das eigene militärische Potential und die Frage, ob und ggf. was für eine eigene Militärstrategie die EU entwickeln soll, müssen unter den aktuellen Umständen einer kritischen Diskussion unterzogen werden. Wenn EU-Staaten wie Polen und Tschechien es sich erlauben können, gegen den Wunsch der meisten EU-Mitglieder und zusammen mit den USA auf aggressiven Kurs in Richtung Osten zu gehen und Polen wesentliche Elemente seiner eigenen Rüstung, die Patriot-Abfangraketen, an der EU und sogar an der NATO vorbei sich von den USA besorgt, sagt das Einiges über den Zustand der sog. Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU.
Wir machen uns keine Illusionen darüber, daß der EU-Kapitalismus innerlich etwa ein „friedlicheres“, mehr auf Diplomatie und Förderung sozialer Konfliktlösungen angelegtes, dazu bereites oder fähiges Wesen sei, wie er sich gern selbst darstellt - wie es aufgrund seiner weiterhin sekundären Stellung in der Welt auch zuweilen erscheinen mag. Entwickelter Kapitalismus bedeutet nicht nur innere, sondern immer auch intensive internationale Ausbeutung und damit die Verschärfung der internationalen Konkurrenz, bedeutet kapitalistisch-imperialistische Machtpolitik und die Tendenz zum Krieg, wo immer er bestimmten kapitalistischen Staaten von Vorteil zu sein scheint. Sie täuschen sich dabei allerdings nicht selten. Aber zweifellos ist den Interessen der europäischen Völker, der Entwicklung progressiver Bewegungen in Europa derzeit am wenigsten gedient, wenn ihre Regierungen sich in die Anlehnung an die eine oder andere Noch- oder Möchtegern-Supermacht flüchten, die aufgrund ihrer massiven inneren und äußeren Krisen in besonderem Ausmaß zu Kriegsabenteuern neigen. Daß die EU mehrheitlich im Georgien-Konflikt sich nicht völlig auf eine Seite ziehen läßt und auch die Entsendung eigener Truppen dorthin, wenigstens zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht ernsthaft erwogen zu werden scheint, ist nicht falsch. Es wird auch den inneren Bewegungen in der EU nützen, auch der Entwicklung des ökonomischen und sozialen Kampfes, wenn die politischen Kräfte gezwungen sind, selbständigere Stellungen zu beziehen. Welche Konzepte vertreten die Herrschaften in Militärfragen, aber auch in Fragen der eigenen ökonomischen Basis, der Energieversorgung und der industriellen Entwicklung? Bürgerliche Parteien wie die CDU-CSU oder die SPD mit ihren skandalösen internationalen Abhängigkeitsverhältnissen kommen zunehmend in schlechtes Wetter. Man denke nur an Schröder-Gasprom oder an Merkels Tiraden von der unverbrüchlichen Vorrangstellung des Bündnisses mit USA und Israel für die Bundesrepublik Deutschland, aber auch die nicht weniger lakaienhafte Rechtfertigung von Großmachtmanövern des Putin-Regimes durch erhebliche Teile der sog. Linken in Deutschland in Kombination mit ihrer Russland absolut begünstigenden Energiepolitik des Atomausstiegs.
Den Sinn für Solidarität mit den Lohnabhängigen und den übrigen Massen in Osteuropa, in Russland und den USA selbst, in der Türkei und den Ländern des Kaukasus zu entwickeln, das wäre eine wichtige Aufgabe all derer, die sich in Deutschland und der EU für soziale Belange einsetzen. Das gehört mehr denn je zu den wichtigsten Ergebnissen jeder politischen Analyse unter linken Vorzeichen.
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Überlegungen zum Kaukasuskonflikt Maria Weiß 15./18.8.2008 Der
Krieg in Georgien -----------------
21. August 1968 – Vor 40 Jahren besetzten
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