Internet Statement 2005-72
19.09.2005 Es gab Politiker, die meinten, sie könnten mit allen Mitteln eine Wahl durchsetzen und damit eine Klärung für wichtige Aufgaben schaffen. Daß es aber zu einem Chaos statt einer Klärung kommt, konnte man schon früher vermuten, und das Chaos ist gründlich eingetreten. Die CDU/CSU hat diesem Ergebnis zufolge einen Konterschlag bekommen, mit dem bis zum Wahlabend zumindest in der Öffentlichkeit nicht gerechnet wurde. Aus vorhergesagten 40 – 45%, die kontinuierlich über ein ganzes Jahr hin angekündigt wurden und sich durch Landtagswahlen ja auch tatsächlich bestätigten, blieben ganze 35% übrig. Was ist passiert? Der anmaßende Versuch Schröders, mit einem fragwürdigen Verfahren sich wieder zum Kanzler einer rot-grünen Koalition zu machen, ist ebenfalls gescheitert. Und genau genommen sind nach den festen Ankündigungen der Politiker überhaupt keine Koalitionen möglich, sodaß eine Fortsetzung der bisherigen Koalition als amtierende Regierung möglicherweise noch lange dauert und Eichel in den Genuß kommt, die Folgen der von ihm vertretenen Finanzpolitik noch richtig darzulegen. Der desolaten Lage entsprechend verlief die Diskussionsrunde unter den führenden Politikern bei beiden Fernsehanstalten am Wahlabend. Ein Schröder, der schon halb weggetreten wirkte, tat so, als wisse er alles besser und könne sich noch als Kanzler präsentieren. Es war ein schon peinlicher Auftritt. Umgekehrt die Kandidatin der CDU/CSU, die nicht zur Kenntnis nimmt, daß ihre Partei und sie selbst durch diese Wahl einen Vernichtungsschlag bekommen haben. Man hatte den Eindruck, als hätte sie das Geschehen noch nicht völlig realisiert. Für das ganze Land ist das Ergebnis allerdings nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, trotz einer berechtigten Freude, daß die Leute, die anderen ein Bein stellen wollten, sich selbst ein Bein gestellt haben. Denn die Stagnation geht weiter, und die ökonomischen Probleme, die ja auf die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen abgeladen werden, werden sich weiter ausdehnen unter den gegenwärtigen Bedingungen. Etwas Anderes als eine Regierung der Stagnation ist unter den jetzigen Kombinationen kaum zu erwarten. Wie bei vorherigen Wahlen auch gibt es auch bei dieser mehr als einen
Punkt zu hinterfragen. Wenn das konkrete Zustandekommen dieses Ergebnisses im weiteren genau analysiert wird, darf außerdem nicht außeracht gelassen werden, daß wieder in erheblichem Umfang Dinge bekannt wurden, die mit korrekter Wahldurchführung und öffentlicher Kontrolle der Ergebnisse nicht vereinbar sind. In Dortmund kam zwei Wochen vor dem Wahlsonntag heraus, daß nicht weniger als 50.000 Briefwählern falsche Unterlagen zugesandt worden waren, was 50.000 ungültige Stimmen zur Folge haben mußte. Nachdem dies aufgeflogen war, soll es gelungen sein, die meisten Betroffenen noch mit den richtigen Unterlagen zu versorgen, aber das Ergebnis von Dortmund bleibt trotzdem noch mit rund 10.000 ungültigen Stimmzetteln aus dieser Affäre belastet. Unter Umständen kann sie noch zu massiver Wahlanfechtung führen. In Berlin-Pankow wurden in einem Wahllokal zunächst falsche Stimmzettel ausgegeben, sodaß mindestens 50 Stimmen ungültig waren. Man fragt sich, wo überall noch und in welchem Umfang solche Dinge gelaufen sind. Nicht weniger als 2,5 Mio. Stimmberechtigte waren bei dieser Wahl auf Wahlautomaten verwiesen. Die damit verbundenen Fragen nach Manipulationsmöglichkeiten sind noch kaum in der öffentlichen Diskussion, da haben Bürokraten mit der massenweise Aufstellung solcher Geräte bereits Tatsachen geschaffen. Mit diesen Automaten wird in jedem Fall ein wesentlicher Mechanismus der demokratischen Kontrolle außer Kraft gesetzt, die Auszählung der Stimmen des einzelnen Wahllokals durch einen Wahlvorstand, der in der Regel Vertreter der konkurrierenden Parteien umfaßt und für diese Arbeit außerdem die Kontrolle der Öffentlichkeit zulassen muß. Das Briefwahlverfahren, obwohl ursprünglich nur für begründete
wenige Ausnahmefälle zugelassen, wächst sich von Wahl zu Wahl
mehr zu einem Normalverfahren für große Teile der Wähler
aus, obwohl die Manipulationsmöglichkeiten hierbei von vornherein
ungleich größer sind und, wie Aufdeckungen bei früheren
Wahlen bereits gezeigt haben, auch genutzt werden. Wahlbeteiligung wird in den Hintergrund geschoben Wieder wurde in der gesamte Behandlung der Zahlen am Wahlabend in penetranter Weise die Wahlbeteiligung fast völlig außen vor gelassen. Mehrere Beobachter verschiedener Wahlsendungen bei uns versuchten über Stunden vergeblich festzustellen, ob irgendetwas Konkretes über die Wahlbeteiligung gesagt würde. Es hieß, sie sei in NRW höher und in Bayern gesunken. Dann hieß es, sie sei insgesamt leicht höher als bei der letzten Bundestagswahl. Es wurden die einzelnen Prozente der Parteien hochgerechnet, während über die Wahlbeteiligung nichts Genaueres gesagt werden konnte. Jetzt liegt im amtlichen Endergebnis eine Wahlbeteiligung vor, die deutlich unter der am Wahlabend genannten liegt. Die Behandlung der Wahlbeteiligung als einen völlig sekundären Faktor bringt zum Ausdruck, wie alle diese Parteien und die Medien im Grunde genommen auf das Volk mit Hochmut herabsehen, denn wenn sie von größeren Teilen nicht gewählt werden, ist das ein Mißtrauensbeweis gegen alle Parteien, der eigentlich besonders behandelt werden müßte. Die Wahlbeteiligung ist eigentlich die erste Zahl der ganzen Wahl überhaupt, und nicht die Prozente der einzelnen Parteien, aber mitnichten wird diese Frage so behandelt. Am erstaunlichsten ist das Wahlergebnis von NRW. Gegenüber der Landtagswahl vom Mai 2005, die ja auch eine kleine Bundestagswahl war, haben sich gravierendste Änderungen ergeben. Die SPD wuchs von 3,06 Mio. Stimmen auf 4,1 Mio. Stimmen. Offensichtlich ist der größte Teil der Wähler, die sich im Mai der SPD verweigert haben, zu ihr zurückgekehrt. Soweit man es sehen kann, hat die Propaganda von Schröder, jetzt wieder die „soziale SPD“ auftauchen zu lassen und die CDU/CSU im Kontrast dazu als die Partei der „sozialen Kälte“ darzustellen, Erfolg gehabt, obwohl er doch selber der Kanzler des bisher größten Sozialabbaus ist. Die CDU in NRW hat in absoluten Werten leichte Verluste, fiel aber prozentual
wegen der Änderung der Wahlbeteiligung gegenüber der Landtagswahl
von 44,8 auf 34,4 Prozent herunter. Ein Ergebnis der Erfahrungen mit der
Rüttgers-Regierung? Der Verfall der Parteien wird auch an den inneren Verhältnissen
der CDU/CSU besonders deutlich. Die bayrische CSU führte einen Wahlkampf,
der schon fast an Sabotage an dem eigenen Parteienbündnis grenzt.
Das Verhalten von Stoiber ließ schon zuvor Zweifel erkennen, ob
er an einem Sieg der CDU/CSU Interesse hat – und die CSU stürzt
in Bayern ab von 58,6% auf 49,3%. Sie verliert 19% der Stimmen von 2002.
Die Beteiligung fällt deutlich von 81,5 auf 78,1. In Baden-Württemberg fällt die Beteiligung ebenfalls, von 81,1
auf 78,7%. Die CDU verliert dort gegenüber 2002 rund 10% ihrer Stimmen.
Der Absturz der CDU/CSU im Bundesgebiet insgesamt ist allerdings fast
zur Hälfte von der CSU verursacht, die nur in Bayern mit einem Siebentel
der Gesamtbevölkerung regiert. An dem Ergebnis wird auch klar, daß Schröder mit dem taktischen Kalkül der Zeitverknappung bis zur Wahl gewissermaßen recht bekommen hat. So sehr die ganze Konzeption Schröders aus Luftblasen besteht und eine Politik der Pleite für das ganze Land ist, so kann man ihm eine gewisse taktische Raffinesse nicht abstreiten. Er hat seine übrigen bürgerlichen Konkurrenten ausmanövriert. Um die Fragen der Produktionsverlagerungen wie auch des Steuersystems ausführlich im Lande zu behandeln – wir hätten nichts dagegen, wenn die ökonomischen Fragen aufs Tapet kommen – war man zeitlich zu stark beschränkt. Das konnte Schröder durch seine Propaganda in den letzten Wochen ausnutzen. Das Durcheinander des konservativen Lagers kam ihm zugute. Aber die Fortsetzung der bisherigen Koalition hat er nicht erreicht. So gibt es verschiedene Komponenten, die dieses Ergebnis möglich gemacht haben. Es ohrfeigt letztlich das ganze bürgerliche System und zeigt, daß in diesem Land etwas Anderes entstehen muß, daß Kräfte hervortreten müssen, die in einer vorwärtsführenden revolutionären Weise das bestehende System zur Ablösung bringen. Diese Parteien jedenfalls kommen nicht weiter. Das wird die neue Koalition zeigen, und möglicherweise auch nachfolgende, falls noch einmal eine Wahl stattfinden sollte. Gefährlich ist auch die NPD. Obwohl sie derzeit eine Randrolle spielt, nehmen ihre Stimmenanteile zu. Ähnlich wie der Faschismus, der sich in den Jahren vor 1930 zunächst klammheimlich allmählich vermehrt hatte, auch von ausländischen Kräften unterstützt, könnte diese neofaschistische Partei wieder eine wachsende üble Rolle spielen. Hier müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, den Faschismus auch von seiner inhaltlichen und provokativen Rolle her zu zerschlagen.
Mit jedem Tag wirken die ökonomischen und strukturellen Probleme,
die auch als Folge der bisherigen Politik auf dem Land lasten, weiter.
Keine der jetzt diskutierten Parteienkoalitionen ist fähig, irgend
etwas Wesentliches in der Gegenrichtung zu bewirken. Schon bald werden
die ökonomischen Nachrichten kommen, die auf die politische Stagnation
reagieren. Indes stehen wir vor einer ganz anderen Aufgabe: in diesem
Land muß die Frage eines Parteiaufbaus, der auf die Veränderungen
und auf die konkrete Situation reagiert, angegangen werden. Das muß
die Hauptaufgabe sein. In diesem Land müssen andere Kräfte aufgebaut
werden, in erster Linie Kräfte der arbeitenden Massen, die ernsthaft
versuchen, mit den Arbeitern und vor allen Dingen mit den neuen Proletariermassen
in Osteuropa, vor allem auch in Asien, in Verbindung zu kommen und den
Widerstand dort zu stärken. Dazu beizutragen betrachten wir als unsere
Kernaufgabe. Das Aufrühren der Frage der Steuersystems und seiner negativen Rolle im Land ist ein kleines Nebenprodukt dieses Wahlkampfes, das auch weiter nachwirken wird. Man hat angefangen, in der Öffentlichkeit über diese Punkte zu diskutieren, das ist ein kleines Plus.
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Zu
den Parteien Neue Medienwelle
für Schröder? Lafontaine
deckt erklärtermaßen Große Koalition - ganzes Zitat im
Zusammenhang Ein
unglaubliches Urteil Wahlen
als Betrug und Erpressung Der
Sumpf der CDU in Baden-Württemberg Köhlers
Spruch Soll
das etwa ein Kontra zu rot-grün sein? Zum
"Regierungs-programm" von CDU/CSU Der
Niedergang geht weiter - im Parlament zweifelhaftes Theater Die
"Vertrauensfrage" - ein öffentlich angekündigter Betrug Die
doppelte Tonart im Fall der Angela Merkel
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